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Streitfall Auslegung der Erbeinsetzung im Testament

Dr. iur. Sabine Pegoraro-Meier im Interview

Überwiegt nach dem Tod eines Angehörigen noch die Trauer, kommt es doch schnell zu Streit, wenn es schliesslich um das Erbe geht. Wenn jemand ein unklares Testament hinterlässt oder darin bei der Erbeinsetzung sogar die Pflichtteile seiner Kinder verletzt, befördert das Konflikte. In welchen Fällen es bei der Auslegung der Erbeinsetzung zu Streit kommen kann, wie entschieden wird, ob die Erbeinsetzung rechtmässig ist und wie man einen Konflikt schon beim Schreiben des Testaments verhindern könnte, erklärt die Basler Anwältin und solothurnische Notarin Dr. iur. Sabine Pegoraro-Meier, die ihren Beruf seit 1987 ausübt.

Dazwischen legte die Mutter eines erwachsenen Sohnes allerdings eine Pause vom Beruf der Juristin ein: Von 2003 bis 2019 war sie als Regierungsrätin im Kanton Basel-Landschaft tätig. Heute ist Pegoraro-Meier wieder Anwältin und widmet sich vorrangig auch dem Erbrecht.

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Dr. iur. Sabine Pegoraro-Meier

Rechtsanwältin für Erbrecht

Was versteht man grundsätzlich unter Erbeinsetzung und wie funktioniert sie?

Die Erbeinsetzung enthält Anordnungen des Erblassers über seine Erbfolge in einem Testament oder einem Erbvertrag. Das heisst der Erblasser bestimmt, wer erben und was mit seinem Nachlass passieren soll.

Eine Einsetzung ist möglich für eine oder mehrere Personen: Man kann einen Alleinerben einsetzen, mehrere Erben, Vor- oder Nacherben, Nutzniesser, Vermächtnisnehmer und so weiter.

In Frage kommen auch Personen, die in keinem familiären oder verwandtschaftlichen Verhältnis zum Erblasser stehen. Die Erben können natürliche Personen sein, z.B. auch Unmündige oder Urteilsunfähige – letztere brauchen für die Annahme der Erbschaft einen gesetzlichen Vertreter – oder auch juristische Personen, das sind Vereine, Stiftungen, Aktiengesellschaften etc.

Werden Pflichtteile im Testament verletzt, steht die Erbeinsetzung bzw. der Umfang der Erbeinsetzung unter dem Vorbehalt der Herabsetzungsklage eines oder mehrerer pflichtteilsgeschützten Erben.

Aus Ihrer Erfahrung – In welchen Situationen setzen Menschen andere häufig als Erben ein?

Da gibt es keine festen Regeln. Viele haben das Bedürfnis zu bestimmen, was nach ihrem Tod gelten soll, auch wenn keine komplizierten Verhältnisse vorliegen. Ein Regelungsbedürfnis besteht häufig bei Patchwork-Familien, bei Wiederverheiratung, beim Vorhandensein von Kindern aus früheren Ehen etc. Hier kann es kompliziert werden, deshalb ist es auch gut, wenn man Regelungen trifft.

Beim Einsetzen von Erben müssen aber immer allfällige Pflichtteile berücksichtigt werden, das heisst der Erblasser ist nicht völlig frei in seinen Entscheiden. Was sich immer bewährt und daher empfohlen wird, ist die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder einer Testamentsvollstreckerin, der oder die die Abwicklung des Nachlasses übernehmen soll. Wenn diese Person erklärt, wie der Nachlass verteilt wird und dann auch die Verteilung durchführt, gibt es keine Diskussion mehr unter den Erben.

In der Schweiz wird im Jahr 2022 eine Revision des Erbrechts in Kraft treten. Bei der Revision sollen vor allem die Pflichtteile der Kinder und der Eltern reduziert bzw. aufgehoben werden, damit der Erblasser mehr Flexibilität bei der Verfügung über seinen Nachlass erhält. Damit will der Gesetzgeber unter anderem die modernen Formen des Zusammenlebens wie z.B. Patchwork-Familien besser berücksichtigen.

Gibt es für den Erblasser Grenzen bei der Erbeinsetzung?

Wie gesagt muss ein Erblasser oder eine Erblasserin die Pflichtteile beachten. Wenn ein Erblasser einem Erben mehr als die sogenannte disponible Quote – das heisst der frei verfügbarer Teil des Nachlasses neben den Pflichteilen – zukommen lassen will, können dadurch die Pflichtteile der pflichtteilsgeschützten Erben verletzt werden. Dann steht die Erbeinsetzung bzw. der Umfang der Erbeinsetzung unter dem Vorbehalt der Herabsetzungsklage eines oder mehrerer pflichtteilsgeschützten Erben. Der Erblasser muss also damit rechnen, dass die Pflichtteilserben seine Anordnungen gerichtlich anfechten werden.

Gilt ein Testament, das Pflichtteile verletzt, wenn niemand eine Herabsetzungsklage erhebt?

Ja, das Testament gilt grundsätzlich so, wie es verfasst wurde. Wenn man es nicht anficht, verwirkt man später sein Klagerecht. Man muss die Fristen beachten, wenn diese vorbei sind, gilt das Testament oder der Erbvertrag.

Was verändert sich hier mit der kommenden Erbrechtsreform?

In der Schweiz wird im Jahr 2022 eine Revision des heutigen Erbrechts in Kraft treten, die vor allem Neuerungen bei den Pflichtteilen bringen wird. Die Pflichtteile der Kinder sollen nämlich reduziert werden und der Pflichtteil der Eltern entfällt vollständig. Will heissen: die Pflichtteile der Kinder betragen heute ¾ ihres gesetzlichen Erbteils, neu wird es dann nur noch 1/2 des gesetzlichen Erbteils sein. Die Pflichtteile des überlebenden Ehegatten und des eingetragenen Partners bleiben unverändert. Ein Erblasser kann künftig also z.B. seine Lebenspartnerin und allenfalls deren Kinder, mit denen er in einer Patchwork-Familie zusammenlebt, stärker begünstigen als heute.

Neue Regelungen gibt es auch für die Unternehmensnachfolge. Hier gibt es immer wieder Schwierigkeiten, wenn einer der Erben das Unternehmen übernehmen und die anderen auszahlen soll. Das führt oft zu Liquiditätsschwierigkeiten. Es ist vorgesehen, dass derjenige, der das Unternehmen übernimmt, Zahlungsaufschübe für die Auszahlung der Erbteile bekommt.

Sehen Sie die Pflichtteilsreduktion als eine notwendige Veränderung?

Ja, ich denke schon. Es geht um das Vermögen des Erblassers, das er erwirtschaftet hat, solange er gelebt hat. Dann sollte er eigentlich auch die Möglichkeit haben, es so zu verteilen, wie er möchte. Dass die Kinder dabei einen gewissen Schutz geniessen, kann man rechtfertigen. Das ist auch nicht überall so: Im angloamerikanischen Recht haben die Kinder keine Pflichtteile.

Aus welchen Gründen könnte es bei der Auslegung der Erbeinsetzung zum Streit kommen?

Streit gibt es bei Erbangelegenheiten leider immer wieder. Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Erben bringt Scherben“. In aller Regel wird um Geld gestritten; besonders dann, wenn die Erben vorher schon zerstritten waren oder schwierige Verhältnisse bestanden.  Streit kommt meistens dann vor, wenn Pflichtteile nicht beachtet werden, wenn die Anordnungen der Erblasserin in Testament oder Erbvertrag unklar oder widersprüchlich sind oder das Gesetz verletzen; oder auch dann, wenn Personen ausserhalb der Familie im Testament begünstigt werden.

Daher lohnt sich, vor dem Verfassen eines Testaments oder Erbvertrags eine fachkundige Beratung bei einem Anwalt, einer Notarin, einem Treuhänder oder einer Bank einzuholen. Für die Errichtung eines Erbvertrages braucht es ohnehin eine Notarin oder einen Notar, der den Erblasser dann auch beraten wird. Schlussendlich ist es aber die freie Entscheidung des Erblassers, ob er die Pflichtteile verletzen will und damit in Kauf nimmt, dass es danach Streit gibt. 

Erbrechtliche Prozesse dauern meistens sehr lange und sind für alle Beteiligten kostenintensiv, nervenaufreibend und emotional. Deshalb wird eine rechtliche Beratung des Erblassers vor dem Aufsetzen einer letztwilligen Verfügung empfohlen.

Können Kinder des Erblassers die Einsetzung eines Erben anfechten?

Ja, das können sie. Jeder, der ein Erbe sein kann , kann grundsätzlich das Testament anfechten, wenn er das Gefühl hat, dass er nicht gemäss den gesetzlichen Regeln behandelt wird. Erben müssen das Testament oder den Erbvertrag anfechten, wenn sie die Verletzung ihres Erbanspruchs durch die Verfügungen des Erblassers geltend machen möchten.

Dabei gilt es vor allem die gesetzlichen Anfechtungsfristen zu beachten: Ein Jahr ab Kenntnis des Testaments und des Ungültigkeitsgrundes. Wenn das Testament eröffnet wird und man hier schon bemerkt, dass dabei etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, gilt die Frist ein Jahr ab dieser Kenntnis. Die Maximalfrist beläuft sich auf zehn Jahre nach der der Testamentseröffnung. Wenn der verlorene Sohn also nach über zehn Jahren nach dem Tod des Vaters zurückkommt und erfährt, dass er nichts geerbt hat, kann er das nicht mehr anfechten.

Wer entscheidet im Streitfall, ob die Erbeinsetzung rechtmässig ist oder nicht?

Das tut letztlich das Gericht, der Richter oder die Richterin, wenn sich die Erben vorher nicht gütlich untereinander einigen können. Es ist also möglich, dass die Erben eine gütliche Vereinbarung treffen.

Erbrechtliche Prozesse dauern meistens sehr lange und sind für alle Beteiligten kostenintensiv, nervenaufreibend und emotional. Deshalb wird wie gesagt eine rechtliche Beratung des Erblassers vor dem Aufsetzen einer letztwilligen Verfügung empfohlen. Wenn der Erblasser in einem Testament oder Erbvertrag alle gesetzlichen Vorschriften einhält und klare, widerspruchsfreie Verfügungen erlässt, dann sind seine Chancen gross, dass später eine Anfechtung vermieden wird.

Wie sollte sich ein eingesetzter Erbe im Streitfall mit den Pflichterben verhalten?

Erbrechtliche Auseinandersetzungen sind meistens sehr emotional. Daher empfehle ich in solchen Situationen, dass ein eingesetzter Erbe mit den Pflichtteilserben Kontakt aufnimmt und das Gespräch sucht. Er sollte anbieten, nach Möglichkeit eine gültige Lösung zu finden und nicht zu streiten.

Zeigt es sich, dass das schwierig ist, dann sollte er eine Anwältin oder einen Anwalt konsultieren und mit der Vertretung seiner Interessen gegenüber den Erben beauftragen. Wenn es zum Streit kommt, wird es meist auch rechtlich kompliziert. Dann ist es gut, rechtlichen Beistand zu haben.

Wie könnte der Erblasser versuchen, einen Streit bereits bei der Erbeinsetzung zu verhindern?

Hierzu kann ich folgendes empfehlen:

1.Eine in rechtlicher Hinsicht absolut wasserdichte und klare letztwillige Verfügung erlassen. Wenn hier keine Fragen offen bleiben, ist das meist schon eine gute Versicherung.

2. Einen Willensvollstrecker einsetzen. Diese Person kann natürlich nicht über den Nachlass entscheiden, aber sie kann seine Verteilung abwickeln. Dann hat die Erbengemeinschaft eine Ansprechperson.

Wie können Sie, als Erbrechtsanwältin, Menschen helfen, die wegen der Erbeinsetzung in einen Streit verwickelt sind?

Wie gesagt sind erbrechtliche Streitigkeiten oft sehr emotional und belastend, diese Erfahrung habe ich häufig gemacht. Beispielsweise in einer Situation, in der der Erblasser nochmals geheiratet hat. Daher versuche ich stets, zuerst mit den Beteiligten das Gespräch zu suchen, allfällige Konflikte auszuloten, möglichst zu schlichten und ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Wenn die Erben im Gespräch die Beweggründe des Erblassers dafür erfahren, warum beispielsweise eine bestimmte Person mehr erhalten soll als die Kinder, dann entwickeln sie vielleicht auch mehr Verständnis dafür. Weil es aber immer auch um das liebe Geld geht, sind solche gütlichen Einigungen nicht immer einfach zu erreichen.

Fragen zum Thema Erbeinsetzung?
Dr. iur. Sabine Pegoraro-Meier informiert Sie ausführlich zu allen Themen rund um das Testament und die Pflichtteile und beantwortet alle Ihre Fragen.